Wirtschaftsthemen sind für viele ein Bah-Thema, moralisch fragwürdig, und doch kann man nicht ohne. Umso freudiger nehmen wir Geschichten zur Kenntnis, die uns zeigen, dass es auch anders geht. Die Geschichte der kleinen Sophia (via twitter@webstandardsmag) ist so eine: Die 6jährige verschenkt Limonade in der Nachbarschaft, bekommt dabei mehr zurück als eigentlich erwartet und erteilt ihrem Vater dazu noch eine Lektion in Sachen Unternehmertum, der seine Lektion wiederum in 9 Tipps weitergibt.
So was lesen wir doch gerne. Wirklich nett zu lesen, irgendwie goldig. Am Anfang habe ich auch noch gelächelt, dann habe ich nur mit dem Kopf geschüttelt und mich hinterher geärgert.
Die Tipps (im englischen Original – bitte die Erklärung dazu im verlinkten Artikel nachlesen) und meine Kommentare:
1. Give people something for free and they will feel obligated to return the favor
(Frei übersetzt: Gib den Menschen etwas kostenlos und sie fühlen sich verpflichtet, den Gefallen zu erwidern.)
Erst kürzlich kritisierte Frank Bültge in seinem Blog das Trittbrettfahrerverhalten anderer: Er versorgt seine Leser mit kostenlosen Tipps und Plugins für WordPress, die so gut sind, dass sie gerne auch von anderen Dienstleistern genommen werden. Statt aber den Gefallen zu erwidern (z. B. durch ein Danke oder eine Spende), verwenden sie seine Lösungen und lassen sich dafür auch bezahlen. Frank Bültge bekommt davon nichts ab.
Sich verpflichtet fühlen, ein freies Angebot, ein Geschenk zu erwidern? Warum? Er stellt es doch schließlich kostenlos ins Internet (Selbst Schuld!). Denn wenn wir im Internet etwas finden und kostenlos und barrierefrei bekommen können, haben wir auch ein Recht darauf, es zu nehmen. Oder?
Dieses Trittbrettfahrerverhalten und -denken ist nicht neu und beschränkt sich nicht nur aufs Internet. Generell habe ich das Gefühl, dass Unternehmer und Kunden keine positive Beziehung mehr zueinander aufbauen. Auch mal an den anderen denken und nicht nur an sich, weil man weiß, dass es dann langfristig allen besser geht. Wer tut das schon?
Stattdessen fördert die Geiz-ist-geil-Mentalität (Danke, Saturn!) den Egoismus und das Fremdeln (was interessiert mich der andere?). Clever ist beispielsweise, wer sich in einem Fachgeschäft informiert und dann beim Discounter einkauft. Dass dadurch das Fachgeschäft ausstirbt und wir von großen Konzernen abhängig werden – wen interessiert es? Haben wir Skrupel dabei? Der Angestellte im Fachgeschäft wird ja schließlich bezahlt, ob er nun ein Produkt oder eine Dienstleistung mehr verkauft oder nicht. Was ist also so schlimm daran?
(Einzel)Unternehmer sind keine Angestellten mit festem Monatslohn. Ob ich nun krank oder im Urlaub bin oder andere kostenlos berate und helfe. In allen genannten Fällen verdiene ich nichts, sondern erst dann, wenn ich meine Projekte zu einem erfolgreichen Ende führe. Und nur dann werde ich bezahlt. Ich will nicht sagen, dass ich anderen nicht gerne helfe. Aber wenn man häufiger Menschen trifft, die sich einem alles haargenau erklären lassen, um mit den Infos dann zu jemand anderen zu laufen, der es dann billiger macht, verleidet einem das Helfen.
Alles eigentlich bekannt. Umso naiver erscheint mir der erste Tipp. Wer sind denn die Menschen, die sich mir verpflichtet fühlen, (m)einen Gefallen zu erwidern? Das sind in der Regel Menschen, die mich kennen, schätzen und/oder mögen. Oder wenn das Trittbrettfahren nicht so einfach ist, unter den Augen der öffentlichkeit stattfindet und der soziale Druck groß genug ist.
Im Beispiel des Limonenstandes sind eine Menge Sympathie mit von der Partie (6jährige Sympathieträgerin), eine Menge öffentlichkeit (jeder sieht, was der andere Nachbar tut) und das Gefüge eines intakten Sozialsystems (Nachbarschaft). Das ist eine ideale Umgebung, die ich mir zwar wünsche, die aber nicht meinem Alltag als Unternehmer entspricht.
2. Give potential customers a taste of your offerings
(Frei übersetzt: Gib potenziellen Kunden eine Kostprobe deines Angebots)
Dem Kunden einen Appetithappen geben ist erfolgreich, wenn
- der Unternehmer ein Produkt oder eine Dienstleistung hat, das/die beinahe konkurrenzlos ist,
- der Kunde das Produkt oder die Dienstleistung versteht,
- der Kunde dann auch das Angebotene zu schätzen weiß.
Meine Kunden sehen nicht, was ich als Unternehmensberater tue. Meine Kunden würden es teilweise auch gar nicht verstehen, immerhin sitze ich ja fast den ganzen Tag nur am Schreibtisch und tippe was. Und der Kunde sieht nur den Businessplan, das Konzept, (also nur ein paar Seiten Papier!) und fragt sich, warum ich so teuer bin. Entsprechend ist die Wertschätzung. Wenn alles gut geht, kommt die Wertschätzung manchmal aber doch noch. Nachträglich, über positive Mundpropaganda. Immerhin.
Der Limonadenstand: Konkurrenzlos (sieht man mal vom Kühlschrank der Nachbarn ab), ein einfach zu verstehendes Produkt, Wertschätzung gegenüber dem Nachbarskind und seiner Limonade.
3. Make it „Extra Special“
(Frei übersetzt: Mach es besonders)
Die Nachbarn kamen nicht, weil die Limonade etwas Besonderes war. Die Nachbarn kamen, weil sie nette Nachbarn sind und das kleine Mädchen mochten.
Ansonsten: Jeder Unternehmer, jedes Unternehmen, jedes Produkt oder jede Dienstleistung sollte einen USP (unique selling proposition), ein Alleinstellungsmerkmal, besitzen. Sei es der Preis, eine besondere Leistung, ein besonderer Nutzen, ein besonderer Ort, etc. Entscheidend ist dabei nicht das Alleinstellungsmerkmal allein, sondern der Nutzen, den das Produkt gestiftet hat. Nur, wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung besonders nützlich war, werden es die Leute weiterempfehlen. Ein pinkfarbener BMW ist auch was Besonderes. Ob er sich gut verkauft, ist aber eine andere Frage.
4. Don’t Be Afraid to Tell Your „Neighbors“ (Network!)
(Frei übersetzt: Hab keine Angst, Deine „Nachbarn“ zu informieren)
Jein. Es ist richtig, über sein Geschäft zu reden. „Tue gutes und rede darüber“ heißt es nicht umsonst. Genauso wichtig ist es für Unternehmer aber auch, mit den richtigen Menschen zu reden. Im Beispiel erzählt der erste Nachbar zwei anderen Nachbarn von der Limonade. Auch im wirklichen Leben brauchen Unternehmer andere Multiplikatoren, die eine Information an viele andere weitergeben können, denen meine Dienstleistung auch gefallen könnte. Bis diese mein Angebot aber auch nutzen, kann allerdings auch dauern. Geschäftliche Netzwerke können, müssen aber nicht mit privaten Netzwerken übereinstimmen. Sie sollten es manchmal auch nicht.
5. Do What You Need to Do to Be Seen
(Frei übersetzt: Tue das Notwendige, um gesehen zu werden)
Wollen mich meine Kunden hüpfen sehen? Die Werbung, die ich mache, muss zu meinem Unternehmen, meinen Produkten und Dienstleistungen, vor allem aber auch zu meinen Kunden passen. Tun, was getan werden muss, um gesehen zu werden: Ja. Aber nur, wenn der Wurm dem Fisch schmeckt und nicht dem Angler.
6. Be Persistent
(Frei übersetzt: Sei beharrlich)
Auch hier ein eindeutiges Jein. Denn es kommt darauf an. Die meisten Gründer und Jungunternehmer haben keine dicke Finanzdecke und können längere Zeiten ohne Umsatz nicht verkraften. Wer nicht laufende Umsätze erwirtschaftet, muss eine neue oder zusätzliche Maßnahme ergreifen. Beharrlichkeit ist richtig, wenn ich auch die Puste dafür habe oder anderweitig Luft bekomme.
7. Build Anticipation
(Frei übersetzt: Baue Vorfreude auf)
Ja. Der erste Punkt, dem ich sofort zustimme. Dabei sollte man seine zukünftigen Kunden nicht nur informieren, sondern, wenn möglich, auch in die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen einbinden. In der Software-Entwicklung ist das durchaus Usus, eine Beta-Version zu veröffentlichen, damit Kinderkrankheiten frühzeitig erkannt und beseitigt werden können. Auch Gründer sollten ruhig potentielle Kunden ansprechen, ihre Idee vorstellen und erstes Feedback aufnehmen.
8. Find Good Partners
(Frei übersetzt: Finde gute Partner)
Dazu ein anderes Zitat
friendship founded on business is better than a business founded on friendship.
John D. Rockefeller (gefunden auf Twitter von @aQuoteAdayA;
frei übersetzt: Freundschaft, gebaut aufs Geschäft, ist besser als ein Geschäft, das auf Freundschaft baut)
Suche keinen Freund, sondern einen Partner, der eure Fähigkeiten ergänzt und der dieselbe Vision verfolgt. Und seid selbst ein guter Partner. Die Arbeit kann schwierig und emotional werden (und damit unsachlich und unproduktiv), wenn man Privates und Geschäftliches nicht trennen kann.
9. Advertise Your Popularity
(Frei übersetzt: Vermarkte Deine Popularität)
Vermarkte Deinen Erfolg, nicht Deine Popularität! Erfolg kann dabei unterschiedliche Gesichter haben: Referenzen, Aussagen von Kunden, erzielte Gewinne, neuer Firmenwagen, etc. Erfolg macht attraktiv im Geschäftsleben. Die meisten Kunden gehen davon aus, wer selbst Erfolg hat, der macht sein Geschäft gut. Und wenn jemand etwas gut macht, nehme ich seine Produkte oder Dienstleistungen gerne in Anspruch, wenn ich derartige Produkte oder Dienstleistungen ernsthaft brauche. Die Wertschätzung der Dienstleistung steigt. Die Sympathie vielleicht auch. Aber das ist zweitrangig.
Fazit
Gute Ratschläge im Leben sind immer gut, lassen sich aber nicht immer pauschal auf jeden und alles anwenden.
Bei allem, was gut oder schlecht sein soll, sollte immer gefragt werden:
- Sind die Umstände im Beispiel mit meiner Situation vergleichbar?
- Was kann ich für mich übernehmen?
- Wie könnte ich das Beispiel auf meine Situation übertragen?
- Wie würden meine Kunden reagieren?
Zuerst habe ich geschmunzelt, denn es ist eine nette Geschichte. Dann habe ich mit den Kopf geschüttelt, weil die meisten Tipps naiv bis unrealistisch sind. Schließlich habe ich mich geärgert bei dem Gedanken, dass junge Unternehmer diese Tipps möglicherweise 1:1 übernehmen und damit auf die Nase fallen.
Manche Ratgeber suggerieren, dass Unternehmertum und Erfolg einfach seien, hält man sich an ein Erfolgsrezept. Wer zu leichtgläubig ist, läuft in Gefahr, nicht nur zu scheitern, sondern auch die Schuld bei sich zu suchen statt in den vermeintlich guten Ratschlägen.
2 Kommentare